Vor Kurzem bin ich einer älteren Dame begegnet, die zum Brunch einen unserer Digital-Standorte besuchte. Sie saß an einem Tisch, an dem ich den Gästen „Digital im Alter“ anhand der Flyer vorstellte und erwähnte, dass wir an diesem Standort individuelle Einzelsprechstunden anbieten. Als ich bei der Dame ankam, zeigte sie mir ihr Smartphone und bezeichnete sich als zu doof, um damit umzugehen.
Das „Doof“ zweifelte ich an und sagte, dass ich noch keinen Menschen kennengelernt habe, der so doof war, dass er gar nichts aus den Sprechstunden mitgenommen hätte. Dann entwickelte sich ein kleines Gespräch. Da die Dame in einer Gruppe saß, die untereinander bekannt war und eine Person auch direkt Kommentare zum Inhalt unseres Gesprächs abgab, war eine Weiterführung der Unterhaltung nicht weiter sinnvoll. Ich verabschiedete mich mit dem Hinweis, dass ich regelmäßig hier sei und sie gerne nochmals treffen wolle, um unser Gespräch fortzusetzen.
Zwei Wochen später traf ich sie wieder bei einer Nachmittagsveranstaltung am Standort, dieses Mal ohne die Gruppe. Wir kamen schnell wieder ins Gespräch. Aufgrund ihrer mangelnden Kenntnisse, so ließ sie mich wieder wissen, sei sie doof und werde das Smartphone nie verstehen. „Dann sind Sie genau richtig bei mir“, war meine Antwort. „Probieren Sie es in der Einzelsprechstunde aus. Wenn ich weiß, was Sie an Kenntnissen mitbringen, können wir beide die Inhalte und die Lernphasen passend gestalten. Ziel ist bei jeder Sprechstunde, dass Sie etwas Gelerntes mitnehmen, das Sie in meinem Beisein schon ein- oder zweimal erfolgreich durchgeführt haben. Und dann, wenn es Ihnen gefallen hat, üben Sie es zu Hause noch ein paar Mal allein.“ Sie war sich selbst gegenüber zwar noch ziemlich skeptisch, aber wir machten dann doch einen Sprechstundentermin aus.
Als sie in die Einzelsprechstunde kam, berichtete sie mir, was sie bis jetzt mit dem Smartphone könne und was sie noch lernen möchte. Die Gruppe hatte ihr zwar oft geholfen, aber sie hat nie genau verstanden, was da jeweils am Smartphone genau gemacht wurde. Damit hatten wir einen wunderbaren Einstieg und legten los. Sie zeigte mir zuerst, was sie schon beherrschte. Ein paar Symbolerklärungen von mir, mit der Ermunterung diese ruhig mal anzuklicken, machten ihr spürbar Freude. Am Ende der Sprechstunde wollte sie einen neuen Termin ausmachen, den wir auch direkt fixiert haben.
Die Dame erwies sich als jemand, die noch über eine weite Aufmerksamkeitsspanne verfügte, sich gut konzentrieren konnte und eine große Lust am Verstehen des Smartphones und an ihrer Selbstwirksamkeit und Kontrolle hatte. Außerdem verfügte sie über eine schnelle Verarbeitung des Gehörten bzw. Gesehenen. Sie war und ist alles andere als doof. Ich freue mich jedes Mal, wenn ich sie sehe und wieder eine Frage bekomme, deren Beantwortung wir gemeinsam erarbeiten – sie am Smartphone und ich daneben. Das Wort „doof“ höre ich in unseren Gesprächen übrigens nur noch ganz selten, wenn überhaupt.
Im Verlauf meiner Tätigkeit wurde mir mehr denn je klar, dass eine aufsuchende Vorgehensweise gefunden werden muss, um Menschen anzusprechen, die uns noch nicht kennen oder die uns zwar kennen aber nie von selbst auf uns zu kämen. Auch gilt es solche Menschen anzusprechen, die das Smartphone oder sich selbst klein reden, z. B. mit Sätzen wie „Ich brauche kein Smartphone, weil ...“ oder „Ich bin zu doof, um das zu können“. Wir kennen die Antworten, die vom mangelnden Nutzen bis hin zur gefährlichen Strahlung reichen oder die eigene Unfähigkeit betonen. Es ist jedoch sehr wahrscheinlich, dass es in diesem Personenkreis trotzdem einige Menschen gibt, die insgeheim gerne ein Smartphone erkunden und beherrschen würden. Mit einer geeigneten Vorgehensweise unsererseits könnte deren Neugier und Interesse wieder geweckt werden, um am Smartphone den Nutzen und vor allem die eigenen Fähigkeiten zu entdecken.
Und für mich als Digital-Helfer muss mehr denn je die Befähigung der hilfesuchenden Personen im Vordergrund stehen. Jemanden zu befähigen, etwas selbst tun zu können, lässt das Gefühl der Selbstwirksamkeit entstehen, was unter anderem mit Glück und Zufriedenheit gekoppelt ist. In der Einzelsprechstunde bin ich als Digital-Helfer zum einen die „Sicherheitsgarantie“ für mein Gegenüber und zum anderen der „Wegweiser“.
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